22 September, 2016

Alleinerziehend - (k)ein Stigma?!

Hallo, ich bin Linda und ich bin Alleinerziehend...

Naja... irgendwie so...
Ich wohne in einer eher ländlichen Gegend. Mein Umfeld ist hier im Großen und Ganzen sehr konservativ eingestellt (Ausnahmen bestätigen natürlich die Regel).
Hierzulande "zuzugeben", dass man mit seinem Kind alleine wohnt, gleicht einem mittelschweren Vergehen. Die kleinlaute Beichte wird mit mitleidigen Blicken bedacht, die zwischen mir und dem Mädchen hin und her wandern. "Oh..."
Der „Makel des Scheiterns“ scheint mir anzuhaften und äußerlich sichtbar zu sein.
Bin ich beziehungsunfähig? Bin ich überfordert? Sind wir eine Familie zweiter Klasse, weil wir die meiste Zeit nur "Zwei" statt "Drei" sind?  
Bin ich gescheitert?!




Tatsächlich kenne ich in meiner näheren Umgebung kaum alleinerziehende Mütter oder Väter. Hier herrscht das perfekte Familienbild der Zwei-Kind-ein-Hund-Familie vor. Hier bin ich ein Sonderling, den es nicht vorurteilsfrei zu begutachten gilt.


Warum hängt dem Wort "Alleinerziehend" so ein negatives Weltbild an?

Vor mehr als 50 Jahren wurden alleinerziehende Frauen (meistens waren es ja Frauen) noch geächtet. Dem liederlichen gescheiterten Frauenzimmer wurde die Vormundschaft für das Kind aberkannt. Sie wurde von bestimmten kirchlichen Ritualen (Kommunion, Begräbnis, Patenschaft) ausgeschlossen. Eine uneheliche Geburt bedeutete weitgehende Rechtslosigkeit für Mutter und Kind.

Auch heute noch steht man mit dem Stempel Alleinerziehend nicht ganzheitlich gleichberechtigt da.
Es ist wahnsinnig kompliziert Arbeit, Alltag, Haus und Kindererziehung unter einen Hut zu bekommen, ohne dass man selbst unter dem Druck zerbricht. Dass ist schon als Mutter in einer funktionierenden Ehe nicht leicht. Wenn dann der Partner, der einem einen Teil der Verantwortung abnehmen kann, nicht ständig verfügbar ist, wird es umso schwerer.

Finanzielle Sorgen sind ein stetiger Begleiter. Mit einer Trennung fällt auch ein Gehalt weg. Haus, Miete, laufende Kosten, Versicherungen, Nahrung, Auto, Arztkosten, Kleidung... puh... da macht man Abstriche.

Fehlende Flexibilität macht sich nicht nur in der Freizeit, insbesondere auch im Job bemerkbar. Eine Teilzeitstelle ist hinsichtlich der finanziellen Sorgen meist weniger attraktiv, eine Vollzeitstelle aber kaum umsetzbar. Die berufliche Qualifikation will man aber doch ausleben können und nicht mit minder verantwortungsvollen Aufgaben beauftragt werden. Problematisch ist außerdem das nicht zusammenpassen von Arbeits-, Betreuungs- und Familienzeit.

Fehlende Akzeptanz und fehlendes Verständnis von Mitmenschen bringt weitere Unvereinbarkeiten mit sich. Meine Familie und Freunde haben die Trennung vom Kindsvater und den Beginn meines Daseins als alleinerziehende Mama unmittelbar mitbekommen. Die Reaktionen waren dabei unterschiedlich. Oft bestärkend, unterstützend und aufbauen.
Doch leider auch oft schmerzhaft und enttäuschend. Ich habe einige Menschen aus meinem Freundeskreis verloren. Es wurde viel geredet, viel gemutmaßt, viel geurteilt, wenig nachgefragt. "Du hast es doch selbst so gewollt! Du bist doch selber schuld..." Ich habe einiges über Vertrauen und die Bedeutung von Freundschaft gelernt.

Ist die Gesellschaft überhaupt bereit, eine Ein-Eltern-Familie als vollwertig anzusehen?
Sehen Außenstehende die Lebenssituationen Alleinerziehender viel negativer, als sie ist?




ABER

Alleinerziehend fühlt sich für mich gar nicht schlecht an. 
Ich bin sogar ganz stolz auf unseren kleinen Mädelshaushalt (Der im Übrigen gar nicht so klein ist, denn wir schaffen es auch zu Zweit, unser Eigenheim zu halten). Wir organisieren uns zu Zweit einwandfrei. Es fehlt und nichts und die Abstriche, die wir machen füllen wir mit extra Liebe auf.
Alleinerziehend fühlt sich für mich gar nicht "allein" an. Ich bin in einem guten sozialen Netzwerk eingebunden. Habe Eltern, Großeltern, Geschwister, Freunde die mich unterstützen. Auch ist der Papa des Mädchens doch immer noch da und er kümmert sich gerne, liebevoll und gut. Wir pflegen ein tolles Verhältnis und verbringen auch gelegentlich noch Zeit als Familie und versuchen uns gegenseitig zu stützen.
Alleinerziehend hat mich stärker gemacht.
Ich habe einiges gelernt. Viel erfahren. Viel verstanden.
Warum ich als Alleinerziehende absolut zufrieden bin und sein darf, erzähl ich euch demnächst auch.


Seid ihr auch alleinerziehend oder kennt jemanden im Freundeskreis, der alleinerziehend ist? Welche Erfahrungen habt ihr gemacht?



Lieblingsgrüße!

19 Kommentare:

  1. Ich bin auch seit 16 Jahren allein erziehende Mama. Ich habe allerdings keine negativen Erfahrungen in meinem Umfeld gemacht und immer viel Unterstützung von meinen Eltern gehabt. Aber anstrengend war es die ganze Zeit, Vollzeitjob und alles andere unter einen Hut zu bekommen. Meine Tochter und ich sind ein richtig eingeschworenes Team. Jetzt ist meine Kleine schon bald 19, hat Abi und startet gerade ein duales Studium. Jetzt ist der Zeitpunkt wo ich verdammt stolz bin und denke alles richtig gemacht zu haben. Liebe Grüße Tina

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  2. Auch ich war eine gewisse Zeit allein mit meiner ältesten Tochter.
    Auch ich, bzw. wir haben alles bewältigt bekommen und in unserem Umkreis war es kein Problem. Viele waren und sind noch heute alleinerziehend. Natürlich macht man Abstriche, aber man weiß, wofür man es getan hat.

    Den letzten Tag alleinerziehend war der 27.06.2012. Danach änderte sich alles grundlegend. Heute bin ich glücklich darüber, den Absprung geschafft zu haben, denn mittlerweile bin ich glücklich verheiratet und erwarte mein 3. Kind.

    Lg Angela

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  3. Wie recht du doch wieder mit deinen Worten hast , Alleinerziehend ..... und das Wort Beziehungsunfähig bekomme ich oft im Zusammenhang vorgeworfen . Dann noch das Thema kariere machen wollen im Job und dennoch Kind , Hund , Pferd , Haus , Sport , Hobby und sich selbst nicht zu vergessen .... Da kommt dann oft der Satz : ,, Meinst du nicht das ist alles etwas viel , WENN MAN ALLEINE IST ?!!`` Ich sehe das nicht so und solange es dem Kind und mir dabei gut geht .... Kann es so schlecht gar nicht sein ;-)

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  4. Hm ich könnte die andere Seite beleuchten.
    Ich bin nicht allein erziehend, aber als die Kids klein waren, hat mein Mann 200km weg gearbeitet, wir führten also eine Fernbeziehung. Dennoch hatten wir mit Schubladen zu kämpfen: Ich musste meinen Vollzeitzob gegen Teilzeit eintauschen, denn der Ganztageskindergartenplatz ist den Alleinerziehenden vorbehalten, und als "Ehefrau und Mutter kann man sich schließlich nachmittags um seine Kinder kümmern".
    Das ärgert mich immer noch. Ich wünsche mir eine Welt in der Familien ihre Art der Lebensform wählen können, ohne Vorurteil, denn ich glaube, "das Richtige" ist für jede Familie anders

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  5. Ich find es sehr mutig von dir, so einen offenen Bericht zu schreiben.
    Ich selbst lebe zwar in einer stabilen, glücklichen Ehe, aber ich kenne einige Alleinerziehende in meinem Umfeld. Von "getrennt lebend aber freundschaftliches Verhältnis" bis hin zu "getrennt und Krieg auf dem Rücken der Kinder" ist da alles dabei. Ich denke, wenn es Gründe gibt, dass eine Partnerschaft nicht mehr funktioniert, kann eine Trennung im Guten die bessere Alternative sein. Von Außen sollte man nicht richten, denn man sieht nur, was die Betreffenden zeigen, das kann auch gespielt sein. Wer dennoch richtet, ist es nicht wert, gehört zu werden.
    Ich wünsch euch alles Gute. Wenn dieser Weg für euch passend ist, dann ist alles gut ;)
    LG von TAC

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  6. Ich schwimme voll und ganz mit dir, hab auch eine ähnliche Situation jahrelang gehabt. Und mein Kindspapa ist auch ein riesiger Schatz und immer da gewesen, heute noch. Für mich war Alleinerziehend auch nie ein Problem, wenn auch nicht alle Tage immer ein Spaziergang.

    LG Katrin

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  7. Ich habe fünf Jahre mit meiner großen Tochter alleine gelebt und war in einer Kleinstadt im Speckgürtel Frankfurts auch eher ein exotisches Tierchen damit.
    Als ich dann zu meinem jetzigen Mann, Vater der kleinen Tochter, direkt in die Innenstadt Mannheims gezogen bin, kam ich mir wieder fast als Außenseiterin vor: Hier waren viele alleinerziehend mit ihren Kindern und wenn man tatsächlich mit dem Vater (zumindest eines Kindes) zusammenlebt, hat das schon fast was von museumsreif - überspitzt formuliert.

    Ich war immer zufrieden als "AE" und es hat Jahre gedauert, bis ich kapiert hatte, dass ich plötzlich wieder verheiratet bin und einen Teil der Arbeit und Verantwortung auf andere Schultern ablegen kann...

    Ich wünsche Dir, dass Du alles gut organisiert bekommst, sich ein soziales Netz für Dich findet und Du gesund bleibst und es weiterhin rockst!

    Liebe Grüße, Sophina

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    1. Danke für den lieben Kommentar, Sophina (was für ein wundervoller Name!)

      Auch ich wünsche dir alles Gute und Liebe für dich!

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  8. Hallo...ja auch ich bin seit einem Jahr alleinerziehend...drei Kinder zu versorgen...ein anspruchsvoller Job noch dazu...ein grosses Haus..all dies ist viel..manchmal zu viel..Ich stehe offen zu meiner Situation...will mich nicht schlecht fühlen dafür diese Entscheidung getroffen zu haben...Mir kommt viel Verständnis entgegen...und klar auch liebe unterstützung von Nachbarn freunden und Familie...aber es ist und bleibt keine Idealsituation...leider...alles Gute für dich und deine Tochter!

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    1. Ja, das kenn ich genau so!
      Kinder, Job und Haus füllen einen zu hundert Prozent aus. Und dann ist da gerade niemand, der den Rasen mäht, während du das Essen kochst, oder der sich um die defekte Heizung kümmert, während du die Wäsche machst...
      Und Kinderjobhaus ist ja bei weitem nicht das, was einem unbedingt ausreicht, um wirklich erfüllt zu sein. Da kommen Liebefreundeleben schnell zu kurz, wenn man nicht auf sich achtet.

      Ich drück dich und wünsche alles Gute!

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  9. Ich gehöre seit ein paar Monaten auch zum Club der AE und erlebe es ähnlich wie du. Muss mich allerdings auch selber an der Nase nehmen, hatte ich früher doch auch furchtbare Vorurteile AE gegenüber, für die ich mich heute richtig schäme.
    Es gibt immer Phasen im Leben, die schwieriger sind als andere. Ich wünsche dir, dass diese jeweils nur kurz anhalten und freue mich über weitere Gedanken von dir zum Thema.

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    1. Danke für den Kommentar!
      Und willkommen im Club!
      Obwohl nee.. es ist kein Club, denn es gibt keinen Clubausweis und keine Clubtreffen.
      Es ist einfach nur eine neue Lebenssituation, die wir jetzt genau so meistern, wie wir es für richtig halten. Ich drück die Daumen, dass du auch viel Rückhalt erfährst

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  10. Ich war 6 Jahre lang Alleinerziehend. Das schlimmste war für mich, oft zu hören. Wie, du gehst Vollzeit arbeiten und deine Tochter? Ich wollte, die Wohnung behalten, das Auto und ein Urlaub im Jahr sollte auch drin sein. Da der Staat einem nicht wirklich hilft in dieser Situation, bin ich, ja,oh mein Gott, Vollzeit arbeiten gegangen. Meine Tochter ist mittlerweile 12 und hat noch zwei Schwestern bekommen (11 Monate und fast 3 Jahre alt). Sie meinte vor ein paar Wochen:"Mama, du hast alles richtig gemacht." Ich war damals stolz auf uns und bin es heute noch!!! Es war eine schwere aber auch eine intensive Zeit für uns beide. Manchmal, auch nach sechs Jahren, ertappe ich mich. Wie ich nach rechne ob ichs mit drei Kinder auch noch schaffen würde. Totaler Schwachsinn, da ich glücklich verheiratet bin. Aber die Zeit prägt einen, viel mehr als man denkt.
    Sei lieb gegrüßt!!! Kinder sind und waren immer mein Antrieb. ;-)

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    1. Wow! Toll, dass deine Tochter dir so ein schönes Feedback gibt!
      In uns steckt viel mehr, als andere Leute von uns denken. Oft auch mehr, als wir selbst von uns denken.
      Deinen insgeheimen Gedanken kann ich sogar nachvollziehen. Das Gefühl auf im Falle eines Falles "auf der sicheren Seite" stehen zu können und es allein schaffen zu können, brauchte ich auch immer. Gar nicht aus dem Gedanken heraus, mich von einem Partner zu trennen. Ich bin einfach ungerne von anderen abhängig und stehe lieber auf eigenen Beinen.
      Und irgendwie: Es ist ja auch so, dass ich nicht aus finanziellen Gründen mit einem Partner zusammen sein will, sondern ganz freiwillig :D

      Äh, verstehst du wie ich das meine? Ohne Mimik und Gestik klingt es komisch ;)

      Lieblingsgrüße!

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  11. Wow! Ich bin in einer Kleinstadt aufgewachsen und wohne in Berlin und für mich ist dieses Verhalten vieler Personen in deiner Umgebung sehr fremd. Meine Oma hat meine Mutter auch alleine großgezogen und das war nicht immer leicht, wie du schon sagst, aber das wars auch schon, viel mehr kam da Nicht. Und als meine beste Freundin ihr Kind bekam und "alleinerziehend" war, hat keiner mit der Wimper gezuckt. Ich finde es schade, dass du so viel beschränktem Denken ausgesetzt bist, aber es freut mich sehr, dass du selbst stolz darauf bist und erkennst, wie schön es doch sein kann!

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    1. Man muss sich immer wieder deutlich vor Augen halten, dass einem "die anderen" und deren Meinung egal sind. Zumindest, wenn einem "die anderen" nicht wichtig sind.
      Dass sie so beschränkt denken ist ja eigentlich auch nur schade für sie selbst, oder?

      Danke für den lieben Kommentar!

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  12. Ach, Quack! das ist doch echt überholt! man glaubt es kaum :0( meine mama war auch alleinerziehend und das in den 70ern, allerdings scheidungsbedingt. ich war ziemlich stolz auf sie, das sie das so geschafft hat. ich mag mich gerne an meine kindheit erinnern, trotz der vielen arbeit hat sie immer was mit uns unternommen (schwimmen, radfahren,...). es gab nie streit und grosse meckereien. es war hart damals, sie wollte keine sozialhilfe in anspruch nehmen und hatte mehrere stellen um uns über wasser zu halten. rüben hat sie glaube ich auch noch im sommer gehackt :0)da gibt es ganz viel positives, ich kann da nichts schlechtes bei finden! kopf hoch! ich wünsche dir noch ein schönes Wochenende, ganz LG aus Dänemark Ulrike :0)

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    1. Das klingt ganz großartig! Und ich glaube auch, dass Kinder damit ohnehin ganz anders umgehen, als die allgemeine Gesellschaftsnorm vorschreibt ;)

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